Nigeria: Interview mit Pastor Bitrus
"Wir müssen mit einer Stimme sprechen"
(Interview Juni 2006 über die Lage der Christen in Nigeria)
Der freikirchliche Pastor Bitrus arbeitet in der Stadt Jos (Nigeria). Seit Jahren sind er und seine Gemeinde bemüht, die religiöse Gewalt zu stoppen und den christlichen Opfern beizustehen.
Gibt es denn in Nigeria überhaupt Christenverfolgung?
Bitrus: Im Norden des Landes ganz sicher. Wir können keine öffentliche Versammlung abhalten, ohne gestört zu werden. Mit Verwaltungstricks hindern uns die muslimisch besetzten Behörden daran, Kirchen oder kirchliche Einrichtungen zu bauen. In den Schulen gibt es ganz selbstverständlich Koranunterricht, doch unsere christlichen Kinder dürfen wir nicht religiös unterrichten. Fanatische Muslime werden von der Polizei nicht daran gehindert, unsere christlichen Brüder zu entführen und zu töten. Bei jedem Gottesdienstbesuch wissen wir nicht, ob wir lebend oder gesund wieder nach Hause kommen. Eine bestimmte Stufe in der Verwaltung oder bei der Polizei können Christen nie überschreiten. Sie werden absichtlich „klein“ gehalten. Nennen Sie das nicht auch Verfolgung?
Sie haben eine Hilfsorganisation gegründet, um den bedrohten Christen zu helfen. (Christian Organization for Renewal and Development, CORD, d.V.). Was ist Ihr Ansatz?
Bitrus: Wir sehen die Verfolgung der Christen. Die muss gestoppt werden, aber wie? Wenn uns die Regierung nicht schützen will, müssen sich die Christen zusammen tun. Sie müssen ihren kleinlichen Konfessionalismus aufgeben und erkennen, dass die Fanatiker alle Christen hassen, ob es nun Katholiken, Protestanten oder Pfingstler sind. Wir müssen mit einer Stimme sprechen und einer Kraft handeln, um das Morden zu stoppen. Wenn die muslimischen Extremisten die Geschlossenheit der Christen sehen, bin ich sicher, dass sie vorsichtiger werden. Zusammen können wir die sozialen und ökonomischen Probleme angehen. Armut und Unwissenheit sind unsere ständigen Begleiter. Ein armer, hungriger Mann ist immer ein ärgerlicher Mann, der bereit ist, seine Situation mit Gewalt verändern zu wollen. So versuchen wir, auch die materiellen Grundlagen der Christen und Muslime zu verbessern.
Ein deutscher Theologe, Dietrich Bonhoeffer, verlangte von der Kirche, dass sie in Krisensituationen nicht nur die Opfer unter dem Rad verbindet, sondern auch dem Rad selbst in die Speichen greife, damit es nicht zu noch mehr Opfern komme.
Bitrus: Das ist ein sehr schönes Bild. Auch wir sind es müde, dauernd unsere Freunde, unsere Verwandten zu Grabe zu tragen. Wir helfen den Familien der Opfer. Aber ein Antrieb für uns in CORD war die Frage: Wie können wir verhindern, dass es überhaupt zu Opfern kommt? Was können wir im Vorfeld tun? Wir dürfen nicht immer warten, bis die Kirchen brennen und Tote auf der Straße liegen.
Kann die Gewalt wirklich gestoppt werden?
Bitrus: Sicher wird es trotz unserer Arbeit weiter Anschläge geben. Aber wir können durch geschlossenes und entschlossenes Handeln, die Gewalt minimieren und eingrenzen.
In CORD arbeiten sie ökumenisch?
Bitrus: Richtig. Wir wollen die Einheit des Leibes Christi vorleben. Nur unsere Uneinigkeit hat es dem Teufel bisher erlaubt, uns so hart zuzusetzen.
Welche Auswirkungen hat das Scharia-Recht für die Christen?
Bitrus: Die Konsequenzen der Scharia sind offensichtlich. Die Christen werden als Bürger zweiter Klasse behandelt. Sie sind keine vollwertigen Bürger mit gleichen Rechten. Christen werden in keine verantwortliche politische Position zugelassen. Auch für die Evangelisation hat das Auswirkungen.
Sie können mit einem Muslim nicht ungefährdet über Christus sprechen. Denn sollte der Muslim sich durch ihre Predigt beleidigt fühlen, haben sie ein Problem. Und zwar eines, das ihr Leben kosten kann. Und denken Sie an die barbarischen Bestrafungen wie Auspeitschungen, Steinigungen oder Amputationen.
Was erwartet ehemalige Muslime, die sich taufen lassen, um Christ zu werden?
Bitrus: Sie sind in höchster Gefahr. Die Extremisten werden ihn und seine Familie kidnappen, um ihn zur Rückkehr zum Islam zu zwingen. Sollte er sich weigern, werden diese Fanatiker ihn foltern und ermorden. Ein Muslim, der Christ wird, ist in den Augen islamischer Extremisten ein Ungläubiger, er hat das Schlimmste getan: er verlässt die einzig wahre Religion, er verrät Allah. Das kann nur mit Blut gesühnt werden.
Wann begann diese religiöse Gewalt in Nigeria?
Bitrus: Das begann gegen Ende der 1990er-Jahre. In den Umwälzungen nach dem Ende der Militärdiktatur wollten die Demokraten, dass alle Gruppen, Stämme, Religionen und Interessen ausreichend vertreten sind, damit die frische Demokratie nicht im Bürgerkrieg versinkt. Aber nur kurze Zeit nach Einführung der Scharia kam es zu den ersten Ausschreitungen gegen die Christen im Norden des Landes.
Das betraf auch Ihre Heimatstadt Jos?
Bitrus: Ja. Im September 2001 forderten die Muslime der Stadt die Einführung der Scharia, was die christlichen Stadtvertreter ablehnten. Daraufhin kam es zu einer Orgie der Gewalt. Aus Niger, Tschad, Kamerun und dem Sudan wurden islamische Extremisten eingeflogen, um in Jos und dem ganzen Plateau State die politische Macht mit Gewalt zu übernehmen. Häuser und Kirchen brannten, am Ende zählten wir mindestens 500 Tote und Tausende Verletzte. Meine Gemeinde hatte in der Zeit ein dreitägiges Gebetstreffen, um für den Frieden zu beten. Am 7. September sahen wir Rauch über der Stadt, wir hörten Schüsse und Schreie. Da wussten wir: der Dschihad hat unsere Stadt erreicht.
Die Mehrzahl der Einwohner von Jos sind Christen?
Bitrus: Ja, der Plateau State mit der Hauptstadt Jos ist mehrheitlich von Christen bewohnt. Wir grenzen an die muslimischen Bundesstaaten Kaduna, Bauchi und Gombe, in denen die Scharia herrscht. Von dort kommt auch der Druck, dass unser Bundesland die Scharia übernehmen soll, obwohl die Muslime nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung stellen. Wir sehen in Jos die „blutigen Grenzen des Islam“, wie es der Islamwissenschaftler Bernard Lewis formulierte.
Gab es denn eine Zeit in Nigeria, in der Christen und Muslime friedlich miteinander lebten?
Bitrus: Ja, diese Zeit gab es. In den 50er- und 60er-Jahren gab es keine Gewalt. Muslime besuchten christliche Familien an deren Feiertagen, etwa an Weihnachten und brachten Geschenke. Ebenso besuchten die Christen muslimische Familien an deren Festtagen. Aber die Ideologie der islamischen Fundamentalisten erreichte auch Nigeria und viele Hassprediger aus dem arabischen Ausland konnten in den Moscheen zur Gewalt aufrufen. So waren die Christen plötzlich nicht mehr Freunde und Nachbarn, sondern Ungläubige, die bekehrt oder vertrieben gehörten. Und diese schrecklichen Feindbilder kriegt man nicht mehr so einfach aus den Köpfen.
Gibt es denn die Möglichkeit, dass Christen und Muslime wieder friedlich miteinander leben – ohne Gewalt?
Bitrus: Das hoffe ich sehr, das ist mein tägliches Gebet. Meine Freunde und ich in CORD arbeiten dafür. Es ist ganz wichtig, die muslimische Jugend zu bilden. Ungebildete und arbeitslose Jugendliche sind anfällig für Hassprediger. Man kann sie leicht anwerben, sie aufhetzen und zu Gewalttaten anstiften. Wir brauchen den Frieden, denn ohne ihn können wir nie zu Wohlstand, effektiver Demokratie oder einem guten Leben gelangen. Hass und religiöse Gewalt sind eine Geißel, die unser Land im Würgegriff haben und eine positive Entwicklung verhindern.
Sie beteiligen sich auch am islamisch-christlichen Dialog?
Bitrus: Seit einem Jahr versuchen wir, mit muslimischen Führern einen Dialog, um die Gewalt zu beenden. Aber ich sage Ihnen ganz offen, dass ich enttäuscht bin. Wir sitzen zusammen, wir sind uns einig, dass Gewalt zu verurteilen ist und die Muslime werden nicht müde zu behaupten, Islam bedeute Frieden. Aber eine Stunde nach unserem Gespräch, zieht ein muslimischer Mob durch die Stadt und tötet unsere Brüder.
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(Interview Juni 2006 über die Lage der Christen in Nigeria)
Der freikirchliche Pastor Bitrus arbeitet in der Stadt Jos (Nigeria). Seit Jahren sind er und seine Gemeinde bemüht, die religiöse Gewalt zu stoppen und den christlichen Opfern beizustehen.
Gibt es denn in Nigeria überhaupt Christenverfolgung?
Bitrus: Im Norden des Landes ganz sicher. Wir können keine öffentliche Versammlung abhalten, ohne gestört zu werden. Mit Verwaltungstricks hindern uns die muslimisch besetzten Behörden daran, Kirchen oder kirchliche Einrichtungen zu bauen. In den Schulen gibt es ganz selbstverständlich Koranunterricht, doch unsere christlichen Kinder dürfen wir nicht religiös unterrichten. Fanatische Muslime werden von der Polizei nicht daran gehindert, unsere christlichen Brüder zu entführen und zu töten. Bei jedem Gottesdienstbesuch wissen wir nicht, ob wir lebend oder gesund wieder nach Hause kommen. Eine bestimmte Stufe in der Verwaltung oder bei der Polizei können Christen nie überschreiten. Sie werden absichtlich „klein“ gehalten. Nennen Sie das nicht auch Verfolgung?
Sie haben eine Hilfsorganisation gegründet, um den bedrohten Christen zu helfen. (Christian Organization for Renewal and Development, CORD, d.V.). Was ist Ihr Ansatz?
Bitrus: Wir sehen die Verfolgung der Christen. Die muss gestoppt werden, aber wie? Wenn uns die Regierung nicht schützen will, müssen sich die Christen zusammen tun. Sie müssen ihren kleinlichen Konfessionalismus aufgeben und erkennen, dass die Fanatiker alle Christen hassen, ob es nun Katholiken, Protestanten oder Pfingstler sind. Wir müssen mit einer Stimme sprechen und einer Kraft handeln, um das Morden zu stoppen. Wenn die muslimischen Extremisten die Geschlossenheit der Christen sehen, bin ich sicher, dass sie vorsichtiger werden. Zusammen können wir die sozialen und ökonomischen Probleme angehen. Armut und Unwissenheit sind unsere ständigen Begleiter. Ein armer, hungriger Mann ist immer ein ärgerlicher Mann, der bereit ist, seine Situation mit Gewalt verändern zu wollen. So versuchen wir, auch die materiellen Grundlagen der Christen und Muslime zu verbessern.
Ein deutscher Theologe, Dietrich Bonhoeffer, verlangte von der Kirche, dass sie in Krisensituationen nicht nur die Opfer unter dem Rad verbindet, sondern auch dem Rad selbst in die Speichen greife, damit es nicht zu noch mehr Opfern komme.
Bitrus: Das ist ein sehr schönes Bild. Auch wir sind es müde, dauernd unsere Freunde, unsere Verwandten zu Grabe zu tragen. Wir helfen den Familien der Opfer. Aber ein Antrieb für uns in CORD war die Frage: Wie können wir verhindern, dass es überhaupt zu Opfern kommt? Was können wir im Vorfeld tun? Wir dürfen nicht immer warten, bis die Kirchen brennen und Tote auf der Straße liegen.
Kann die Gewalt wirklich gestoppt werden?
Bitrus: Sicher wird es trotz unserer Arbeit weiter Anschläge geben. Aber wir können durch geschlossenes und entschlossenes Handeln, die Gewalt minimieren und eingrenzen.
In CORD arbeiten sie ökumenisch?
Bitrus: Richtig. Wir wollen die Einheit des Leibes Christi vorleben. Nur unsere Uneinigkeit hat es dem Teufel bisher erlaubt, uns so hart zuzusetzen.
Welche Auswirkungen hat das Scharia-Recht für die Christen?
Bitrus: Die Konsequenzen der Scharia sind offensichtlich. Die Christen werden als Bürger zweiter Klasse behandelt. Sie sind keine vollwertigen Bürger mit gleichen Rechten. Christen werden in keine verantwortliche politische Position zugelassen. Auch für die Evangelisation hat das Auswirkungen.
Sie können mit einem Muslim nicht ungefährdet über Christus sprechen. Denn sollte der Muslim sich durch ihre Predigt beleidigt fühlen, haben sie ein Problem. Und zwar eines, das ihr Leben kosten kann. Und denken Sie an die barbarischen Bestrafungen wie Auspeitschungen, Steinigungen oder Amputationen.
Was erwartet ehemalige Muslime, die sich taufen lassen, um Christ zu werden?
Bitrus: Sie sind in höchster Gefahr. Die Extremisten werden ihn und seine Familie kidnappen, um ihn zur Rückkehr zum Islam zu zwingen. Sollte er sich weigern, werden diese Fanatiker ihn foltern und ermorden. Ein Muslim, der Christ wird, ist in den Augen islamischer Extremisten ein Ungläubiger, er hat das Schlimmste getan: er verlässt die einzig wahre Religion, er verrät Allah. Das kann nur mit Blut gesühnt werden.
Wann begann diese religiöse Gewalt in Nigeria?
Bitrus: Das begann gegen Ende der 1990er-Jahre. In den Umwälzungen nach dem Ende der Militärdiktatur wollten die Demokraten, dass alle Gruppen, Stämme, Religionen und Interessen ausreichend vertreten sind, damit die frische Demokratie nicht im Bürgerkrieg versinkt. Aber nur kurze Zeit nach Einführung der Scharia kam es zu den ersten Ausschreitungen gegen die Christen im Norden des Landes.
Das betraf auch Ihre Heimatstadt Jos?
Bitrus: Ja. Im September 2001 forderten die Muslime der Stadt die Einführung der Scharia, was die christlichen Stadtvertreter ablehnten. Daraufhin kam es zu einer Orgie der Gewalt. Aus Niger, Tschad, Kamerun und dem Sudan wurden islamische Extremisten eingeflogen, um in Jos und dem ganzen Plateau State die politische Macht mit Gewalt zu übernehmen. Häuser und Kirchen brannten, am Ende zählten wir mindestens 500 Tote und Tausende Verletzte. Meine Gemeinde hatte in der Zeit ein dreitägiges Gebetstreffen, um für den Frieden zu beten. Am 7. September sahen wir Rauch über der Stadt, wir hörten Schüsse und Schreie. Da wussten wir: der Dschihad hat unsere Stadt erreicht.
Die Mehrzahl der Einwohner von Jos sind Christen?
Bitrus: Ja, der Plateau State mit der Hauptstadt Jos ist mehrheitlich von Christen bewohnt. Wir grenzen an die muslimischen Bundesstaaten Kaduna, Bauchi und Gombe, in denen die Scharia herrscht. Von dort kommt auch der Druck, dass unser Bundesland die Scharia übernehmen soll, obwohl die Muslime nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung stellen. Wir sehen in Jos die „blutigen Grenzen des Islam“, wie es der Islamwissenschaftler Bernard Lewis formulierte.
Gab es denn eine Zeit in Nigeria, in der Christen und Muslime friedlich miteinander lebten?
Bitrus: Ja, diese Zeit gab es. In den 50er- und 60er-Jahren gab es keine Gewalt. Muslime besuchten christliche Familien an deren Feiertagen, etwa an Weihnachten und brachten Geschenke. Ebenso besuchten die Christen muslimische Familien an deren Festtagen. Aber die Ideologie der islamischen Fundamentalisten erreichte auch Nigeria und viele Hassprediger aus dem arabischen Ausland konnten in den Moscheen zur Gewalt aufrufen. So waren die Christen plötzlich nicht mehr Freunde und Nachbarn, sondern Ungläubige, die bekehrt oder vertrieben gehörten. Und diese schrecklichen Feindbilder kriegt man nicht mehr so einfach aus den Köpfen.
Gibt es denn die Möglichkeit, dass Christen und Muslime wieder friedlich miteinander leben – ohne Gewalt?
Bitrus: Das hoffe ich sehr, das ist mein tägliches Gebet. Meine Freunde und ich in CORD arbeiten dafür. Es ist ganz wichtig, die muslimische Jugend zu bilden. Ungebildete und arbeitslose Jugendliche sind anfällig für Hassprediger. Man kann sie leicht anwerben, sie aufhetzen und zu Gewalttaten anstiften. Wir brauchen den Frieden, denn ohne ihn können wir nie zu Wohlstand, effektiver Demokratie oder einem guten Leben gelangen. Hass und religiöse Gewalt sind eine Geißel, die unser Land im Würgegriff haben und eine positive Entwicklung verhindern.
Sie beteiligen sich auch am islamisch-christlichen Dialog?
Bitrus: Seit einem Jahr versuchen wir, mit muslimischen Führern einen Dialog, um die Gewalt zu beenden. Aber ich sage Ihnen ganz offen, dass ich enttäuscht bin. Wir sitzen zusammen, wir sind uns einig, dass Gewalt zu verurteilen ist und die Muslime werden nicht müde zu behaupten, Islam bedeute Frieden. Aber eine Stunde nach unserem Gespräch, zieht ein muslimischer Mob durch die Stadt und tötet unsere Brüder.
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robinhood - 20. Sep, 12:00